zum 3. Essai: Schluss

Schluss des 3. Essais: Konfessionalisierung




4) Nachspiele
Am 11.Oktober 1531 war Zwingli tot, und damit die Reformation in seinem Sinn vorbei. Es kam eine andere Zeit. Die Reformierten waren nun vielerorts gezwungen, mit standhaftem Bekennen sich gegen die eidgenössischen Herren zu wehren. In Zürich musste Bullinger, der an die Stelle Zwinglis trat, alles aufbieten, um zu retten, was zu retten war. Es war jedoch der innere Geist, der in Zwingli gelebt hatte, der in Zukunft fehlte. Seine sinnliche Liebe zur Heimat, seine ausserordentliche und vielfältige Bildung, sein offenes Interesse und Denken, seine Freude an Musik, Bildern und Theater. Es war genau die Lebensfreude, die in seinen Texten durchscheint, die verschwunden war - und die mit der Ächtung seiner Person in den folgenden Jahren, oder Jahrhunderten, auch aus dem Bild, das die Nachwelt von ihm hatte, verschwand.   Ich gebe wieder eher anekdotisch ein Bild der Situation. Wohl arbeiteten einige der Zwinglifreunde, die überlebt hatten, in seinem Sinne weiter. Theodor Blibliander, der den Koran auf Latein übersetzte, habe ich schon erwähnt. Konrad Pellikan hat einen Traktat aus dem Talmud auf Latein übersetzt und herausgegeben, also jüdische Theologie. Als jedoch Bibliander den Briefwechsel zwischen Zwingli und Oecolampad in Basel, der 1530 gestorben war, herausgab, wurde das nicht gern gesehen. Er hätte es besser unterlassen sollen. Bibliander ging der Stimmungswechsel sehr zu Herzen ging, wie ich schon erwähnt habe. Ein anderer Freund Zwinglis, Johann Stumpf, Pfarrer in Bubikon, zog nach Rücktritt vom Amt nach Zürich. Er hatte sich als Chronist betätigt und eine Schweizerchronik angefertigt. Zugleich schrieb er als Zeitgenosse eine Reformationschronik sowie die erwähnte Geschichte des Abendmahlsstreites zwischen Luther und Zwingli. Er wollte beide Geschichtsbücher zu ende bringen und herausgeben. Dies wurde ihm von Bullinger verwehrt, der dann die Reformationschronik selber schrieb.  Ich vermute, dass auch die theologischen Differenzen zwischen Zwingli und Bullinger grösser sind, als man annimmt. Ich habe das aber noch nicht untersucht. Sicher ist, dass Bullinger und die anderen jungen Theologen in Deutschland studiert haben, also im Umfeld lutherischer Theologie. Auf diesem Weg kam vermutlich eine selbstverständliche Annäherung zustande, obwohl die Polemik weiterging. Und aus dieser Zeit könnte der Eindruck stammen, dass man doch eigentlich dasselbe gewollt habe.   Mir scheint das nun zu kurz geraten. Ich kann es aber nicht ausführlicher erzählen, weil mir die Fakten, die ich erzählen könnte, fehlen und ich die Texte noch nicht gefunden habe, um meine Thesen zu demonstrieren. Der eigentliche Grund liegt aber wohl darin, dass ich diesen Teil als sehr tragisch empfinde. Nicht nur wegen des Todes in Kappel, sondern wegen der früh beginnenden Parteiung und der früh beginnenden Erstarrung der Fronten. Aufbruch und  Befreiung scheinen langsam erstickt zu sein, obwohl es realpolitisch weiterzugehen schien. Die Reformation hat sich gehalten. Aber der Geist, wie ich ihn bei Zwingli wahrnehme, ist verschwunden. Der sensible Geist, der in Zwinglis Texten zu sehen ist, wenn man will, den man aber ebenso gut überlesen kann, wenn man nicht dafür empfänglich ist.   Vielleicht hat es mir geholfen, dass ich einen sehr unruhigen Geist habe und mit den theologischen Erklärungen meistens nicht zufrieden, und mit den Glaubensaussagen, die ich als  Behauptungen empfinde, im allgemeinen unglücklich bin. Zu sehr beherrscht das Bekennen die Aktivitäten in der Kirche, und oft bekommt man das Gefühl, man schätze es, wenn man sich im Kirchengebäude gegen die böse Welt verschanzen kann, ganz lutherisch: Ein feste Burg. Und es geschätzt wird, wenn der Pfarrer als Bekenner auf der Kanzel steht, als ob er nicht anders könnte. Dabei vergisst man, dass die christliche Kultur für ganz Westeuropa und noch weitere Gebiete gilt, und die Absonderung der Kirche künstlich ist. Zum Christentum gehören  zwei Weltkriege, die Atombomben, die Shoah und das ganze Arsenal schrecklicher Begebenheiten, das antikirchliche Publizisten ausführlich auflisten.   Ganz so leicht, wie es oft scheint, dachte Zwingli nicht nach, und ganz so kühl, wie er oft argumentiert, war sein Kopf nicht. Von seinen Erfahrungen mit inneren Kämpfen war schon die Rede. Spricht er vom Konflikt
zwischen Körper und Geist, spricht er von seinen eigenen Erfahrungen als Priester, der bemüht war, seinen Gelübden nachzukommen, obwohl ihm Sinnenfreuden offensichtlich viel bedeuteten. Er hätte nicht müssen, wäre er bereit gewesen, gegen die Bezahlung eines gewissen Betrages sich die Erlaubnis zu verschaffen, sich Frau und Kinder zu halten. Bullinger war das Kind eines Pfarrers, der sich auf diese Weise eingerichtet hatte und in Bremgarten Priester war, mit Frau und Kindern.   Der Gott Zwinglis, der alles ins Sein bringt, der alles Geschehen macht, lässt die einfache Lösung nicht zu, alles Üble habe mit der Kirche nichts zu tun. Ebenso, wie alles im Leben Gott zu verdanken ist, ist auch die ganze Kultur theologisch mitzuverantworten, und deshalb ist die Theodizee unmöglich und sinnlos. Bei Zwingli klingt das so: "Kurz, der Gottesfürchtige, der die Vorsehung richtig anerkannt hat, hat das beste Gegengift gegen das Glück und das hervorragendste gegen Unheil. Denn wenn uns Reichtümer, Schönheit, Gesundheit, Kinder, Ehre zuteil werden und wenn wir erkennen, dass sie uns durch die Wohltat der Vorsehung gegeben worden sind, wahrlich, ich sage: welche Erleichterung und welche Freude wird dadurch der Seele zuteil! Erleichterung, wenn sie sieht, dass auch das, was sich auf den Körper bezieht, von der Gottheit gegeben wird, und dass es ihr gestattet ist, zu geniessen; Freude jedoch, wenn sie sich immer genügend davor in acht nimmt, nicht aus Habgier widerwillig weiterzugeben, was sie so grosszügig empfangen hat. Aus der Erleichterung entsteht Dankbarkeit, aus der Freude Wachsamkeit und eine ehrenhafte Art zu leben. Wenn uns aber Not, Hässlichkeit, Krankheit, Kinderlosigkeit, Verachtung und Zurückweisung zuteil werden, und wenn wir auch dies als durch die Vorsehung gegeben anerkennen - wie viel, frage ich, bringt uns dies an Trost in so harten Dingen! Mit welcher Seelenstärke werden wir über diese Welt aufsteigen und das, was unter uns ist, verachten! Denn nachdem wir gesagt haben: Dies ist mir durch die göttliche Vorsehung gegeben worden, also muss es auch so genommen werden und mit unerschütterlicher Seele nur durch die Duldsamkeit überwunden werden; du bist ein Werkzeug Gottes, er will dich brauchen, nicht schonen; o du Glücklicher, den er zu seinem Werk gerufen hat!“, dann sind wir bereit, unser Leben zurückzulassen, da wir sehen, dass auch die ganze Welt nichts als Mühsal und Beschwerden versprechen kann. Oder wird man etwa nicht gerne und willentlich erdulden, auch wenn man die ganze Welt besässe, dass diese von einem zurückverlangt wird? Wer wird nämlich einem Acker, aus dem nichts als unnütze Arbeit erwächst, nicht entsagen? Darauf aber läuft der Glaube an die Vorsehung hinaus. Wenn wir nämlich erkennen, dass die Güter des Glücks, wie man zu sagen pflegt, so verschleudert und vergeudet werden können, dass sie nirgends sicher sind, dann werden wir, sofern wir nicht geistig beschränkt sind, uns jede Mühe geben, dass wenigstens wir selbst fest bleiben und nicht zulassen, dass wir zusammen mit ihnen verderben, nicht anders als ein Schiff, wenn es hinter einer Landzunge Schutz vor dem Sturm sucht." (Zitat IV, 272-273)  
 
6) [Zusammenfassung des Gedankengangs] Schluss
Der Anfang des Epilogs von de providentia (IV,S.266): "Da wir nun durch dieses unermessliche Meer von höchst bewundernswerten Dingen gefahren sind, die wir nur mit der Spitze der Ruder berührt haben, ein Meer, das wir wegen unserer Furcht lieber überfliegen als durchsegeln würden, sehen wir nun schon einen Hafen vor uns; so ist es an der Zeit, die Segel zu streichen." Soweit ich weiss, hat Zwingli das Meer nie gesehen, Segelschiffe kannte er nur vom Zürichsee. Dennoch: er gebraucht seine Fantasie und bringt Gelesenes in Bildern. Das unsichere Leben, als Schifffahrt über ein unermessliches Meer, und er verweist auf die Kühnheit seiner Schifffahrt durch seine Theologie: "das Meer, das wir wegen unserer Furcht lieber überfliegen als durchfahren würden..."


(c) Samuel Waldburger 2008