3. Essai: Konfessionen

Konfessionalisierung

Einleitung

In diesem Essai schlage ich den dritten Bogen über Zwinglis Denken; es ist der abschliessende. Was ich heute vortrage ist vielleicht so wenig klar wie das letzte Stück, ein Zeichnungsblatt mit einigen Strichen, die kein deutliches Bild geben, eher ein Vexierbild. Im zweiten Stück war der Anlass die Verwirrung, in mich die Darstellung Zwinglis durch die Generation meiner Väter gestürzt hatte. Das habe ich einleitend dargestellt. Heute bin ich auf eine andere Schwierigkeit getroffen. Ich empfinde im Ende von Zwinglis Wirken etwas Tragisches, etwas Tragisches im Leben Zwinglis, aber ich kann es noch nicht beschreiben. Genau dieses Tragische ist es, worum es hier geht. Denn es wurde tragisch, weil Zwingli das göttliche Gesetz des Heiligen, das die Voraussetzung für den Genuss der Güte Gottes ist, durchhielt oder durchzuhalten versuchte, und damit scheiterte oder daran zugrunde ging. Mit dem Gesetz ist nicht die Sittenlehre oder die Ethik gemeint. Es ist das erste Gebot, dass Gott einer ist und dass er deshalb durch kein Bild dargestellt werden könne. Es ist das Gesetz, dass das Heilige allein im Himmel platziert oder konzentriert ist. Von dort strahlt es aus, schafft über den Weg der Materie und über den Weg des Geistes die Welt. Beide Wege verbinden sich im Menschen, der diese Verbindung zu erhalten hat, obwohl sie ihn mit einem unlösbaren Konflikt belastet. Ich habe Jesus Christus fast ganz weggelassen. Das ist einerseits Absicht, andererseits ein Mangel. Absicht insofern, dass diese Person theologisch so sehr vereinnahmt und fixiert ist, dass nur schon die Erwähnung kaum mehr verrückbare Vorstellungen aktiviert, so dass es schwierig wäre, Zwinglis Eigenart daran zur Geltung zu bringen. Mangel ist es, dass ich auch noch nicht recht herausgefunden habe, wie Zwingli Christus versteht, und ich müsste mich mit Andeutungen begnügen. Nur so viel: Jesus Christus ist das definitive und verbindliche Zeichen der Güte Gottes und das wahre Beispiel der guten und richtigen Verbindung von Materie und Geist im Menschen.   Es war später nicht Zwinglis Theologie, die den Protestantismus prägte, sondern Luthers Frage nach der Gnade. Der Glaube an Verschonung im Gericht triumphierte über die Annahme der Barmherzigkeit und Güte. Die Frage nach der Gnade und die Lehre, wie man sie erhalte, triumphierte über das Aufkommen des Genusses Gottes. Der Genuss des Wortes Gottes, der den Genuss und die Tröstung des Lebens bringt, musste untergehen. Die Tendenz Zwinglis habe ich mit jüdischer Mystik in Beziehung gesetzt. Diese Tendenz ist untergegangen. Zurück blieb eine formalisierte Reformiertheit, die sich um Bekenntnisformulierungen kümmerte, und an stelle der Heiligkeit Gottes trat die Frage nach der Heiligung des Lebens; das Schicksal der Menschen, ihr Fühlen und Denken rückte auf den zweiten Platz, in der Neufassung der Orthodoxie in den 20er Jahren des 20.Jahrhunderts verschwand es ganz. Auch über das alles hinaus hat Luther in Zwinglis Leben eine fatale Rolle gespielt.   Nochmals zum ersten Abend Der erste Essai orientierte sich am Anfang, aber der Anfang wurde erst am Schluss wirklich geschrieben, und die Postulate des Beginns der Umgestaltungen blieben bis zuletzt aufrechterhalten und unerfüllt. Es begann mit der Begegnung mit der italienischen Renaissance, die Zwingli als Spross einer Bauernfamilie in seiner Weise aufnahm. In den inneren Widersprüchen des Renaissance-Lebensgefühls nahm er Partei gegen die überragenden Heroen und für die Individualität der einfachen Menschen, für die Bildung aller anstelle des Dienstes an den Fürsten. (Der Fürst Pico della Mirandola stand in Kontakt mit Savonarola in Florenz, der dort für eine gewisse Zeit Fürsten wie Oligarchen verdrängt hatte. Die Frage drängt sich auf, ob Zwingli davon gewusst hat, und wie weit Savonarola für ihn ein Vorbild gewesen sein könnte). Zwingli setzte Renaissance-Kultur um, die der Aufbruch aus dem Weltbild des Mittelalters war, das bei aller Vielfalt eine in sich kreisende Welt war. Es ging in der Reformation darum, die geordnete Welt (Ordnung meint inklusive der gewohnten Unordnung!) aufzubrechen, die Grenzen zu durchbrechen. Zwingli wollte die Offenheit durchsetzen, eine neue Ordnung erreichen, und seine Theologie entsprechend formulieren. Da die Kirche das umfassende Kreisgebilde im Weltverständnis des Mittelalters darstellte, war sie der zentrale Angriffspunkt der Kritik. Viele Renaissancemenschen und Humanisten haben diesen Punkt entweder nicht erkannt, oder waren nicht in der Position, etwas umzusetzen. In Zwinglis offener Welt konnte es eine umfassende Kirche, in der alle und alles geborgen gewesen wäre, nicht mehr geben. Die Gottheit trat anstelle der Kirche. Kultur setzte Zwingli ausserhalb der Kirche, und er ging mit der Entmachtung der Kirche über die Renaissance hinaus, welche die Kirche unangetastet liess. Zwingli schaffte die Kirche ab. Weil er tiefer grub, konnte er das Heilige nicht weiterhin der Verwaltung der Kirche überlassen. Statt es wirtschaftlich durch eine Weltfirma ausschlachten zu lassen, gab er es frei, weil er es auch überall in der Welt gefunden hatte: Gott, der sich um alles kümmert, für alles sorgt und der Urheber von allem ist. Die seltsame Macht der Güte. (Ich habe nicht und Zwingli auch nicht vom "Allmächtigen" gesprochen. Dieser ist ein Produkt der Gerichtstheologie und bedrohlich, Ausdruck der Moral des 19.Jahrhunderts, etwa im Sinne eines überhöhten Stubelpeters. Bei Zwingli kommt der Gott auch vor, der alle Geheimnisse sieht, aber es geht nicht um Sünden, sondern um Verbrechen gegen Menschen. Der Allmächtige ist gerade nicht der Gott, der alles wirkt und der Kern des Bestehens der Welt ist, sondern der Herrscher, der willkürlich ist und willkürlich zuschlägt. Jedenfalls kann man sich nicht auf seine Sympathie verlassen, sondern muss seine Rache fürchten, was oft als einziges Mittel angesehen wird, die Menschen im Zaum zu halten. Dafür, meinte Zwingli, reicht die weltliche Gerichtsbarkeit aus. Eine Überlegung zur göttlichen Macht füge ich an, indem ich mir Sätze aus der Psychoanalyse ausleihe. Sandor Fereczi, Freund und Schüler Freuds, hat den Satz geprägt "Antipathie ist Impotenz" - der rächende Gott ist ein schwacher Gott, und darum Quelle von Angst. Fernczis Pendant zur Antipathie lautet: "Ohne Sympathie keine Heilung" - hier wäre Zwinglis Gott zu lokalisieren. Er konfrontiert die Menschen mit der Welt, in der sie leben, mit dem Schicksal, mit dem eigenen Willen, mit den Verstrickungen und Freiheiten, die sich ergeben. Man könnte den Gott auch weglassen. Ich frage mich nur, ob wir dann fähig sind, oder ob es im 16.Jahrhundert möglich gewesen wäre, diese Welt und das Leben darin noch als Güte zu verstehen. (Das Problem erscheint bei Sigmund Freud: "...aber alle, die die Leitung des Weltgeschehens der Vorsehung, Gott oder Gott und der Natur übertragen, erwecken den Verdacht, dass sie diese äussersten und fernsten Gewalten immer noch wie ein Elternpaar - mythologisch - empfinden und sich mit ihnen durch libidinöse Bindungen verknüpft glauben. Ich habe im 'Ich und Es' den Versuch gemacht, auch die reale Todesangst der Menschen von einer solchen elterlichen Auffassung des Schicksals abzuleiten. Es scheint sehr schwer, sich von ihr frei zu machen." (StA III,352, Das ökonomische Problem des Masochismus. Was machen wir theologisch mit dieser Thematik?) Ich habe vorgeschlagen, zum Verständnis von Zwinglis Gedanken Elemente jüdischer Mystik herbeizuziehen.  

Nochmals der zweite Essai:
Der zweite Essai versuchte die komplexen Umsetzungsereignisse und die Schriften, die durch die Aktualitäten bedingt sind, auf Zwinglis Grundvorstellungen zu beziehen. Zwinglis Prinzip, Körper und Sinnlichkeit nicht aus theologischen Gedanken auszuschliessen, sondern sie auf sie zu beziehen und ihren Bedürfnissen das Recht nicht abzusprechen, führten zu seinen Konzeptionen des inneren Konflikts, der den Menschen ausmacht und bestimmt und ihm seinen Wert in der Welt gibt, und zu den Umgestaltungen des Lebens, die wenig bekannt sind, schwer verständlich aufgrund herkömmlicher heutiger Theologie. Es war der Versuch, innerhalb der vorgegebenen Sprache der Kirche das Neue zu formulieren, das Zwingli bewegte, und für das er kämpfte.    

Im dritten Essai geht es um das Ende, das früh beginnt und sich nach Zwinglis Tod fortsetzt. Hier kann man fast nicht mehr von einem Bogen sprechen, den ich setze, es geht viel eher um ein Schnitt, mit dem ich die verschiedenen Dynamiken von Aufstieg, Höhenweg und Abstieg in Beziehung zu setzen versuche, in einigen wenigen Strichen. Zwingli selbst hat das nicht beschrieben. Er wird es nicht so gesehen haben, wie ich es darstelle.    

1) Kappelerkriege (Teil 1)
Schon im ersten Kappelerkrieg, 1529, sagte Zwingli: Es geht um meinen Kopf. Er war sich bewusst, wie viel an der Zürcher Reformation von ihm abhängig war, und dass die Feindschaft ihm persönlich galt. Die Reformation scheiterte daran, dass sie von Zwingli abhing; denn die Realpolitik des Zürcher Rates liess die entscheidenden Punkte fallen, um zum Frieden zu kommen. Einer der entscheidenden Punkte war, dass das Reislaufen verboten und die Pensionen zum Verbrechen erklärt würden. Als dieser Punkt fallengelassen wurde, sagte Zwingli: Dieser Frieden ist Krieg. Die Orte, die sich nicht reformieren liessen, wollten noch immer seinen Kopf und setzten alles daran, die Reformation zu behindern. Sie waren, im Sinne es damaligen Weltbildes auch im Recht. Zwingli war der Ketzer, so offensichtlich, dass niemand sich je darum gekümmert hat, ihn zu verurteilen. Dennoch: Als ich die Schriften las, die Zwingli zwischen den Kappelerkriegen geschrieben hat, ist mir aufgefallen, dass er sich um seine Gedanken dreht, sie wiederholt und wiederholt, als käme er nicht mehr weiter, mit Ausnahme des Buches De providentia, aus dem ich zitiert habe, und das in einer grossartigen Leichtigkeit daherkommt. Er war gezwungen zu schreiben, um seine Standpunkte zu erklären, die offenbar zunehmend auf Ablehnung und Skepsis stiessen. Seine ratio fidei (geschrieben als Rechenschaft für den Augsburger Reichstag 1531 - der Titel schwebt zwischen Bekenntnis, Verantwortung und Rationalität des Glaubens -) löste Ärger und Ablehnung aus, man hätte Zwingli lieber etwas weniger klar und direkt haben wollen. Nicht nur der Kaiser Karl V. soll sich geärgert haben, sondern natürlich auch die Lutheraner und sogar einige der Freunde, die auf die Einheitlichkeit der Protestanten hofften. Die Opposition wuchs. In der Eidgenossenschaft führte der Kappeler Frieden zu unendlichen Rechtsstreitigkeiten, um jedes Dorf wurde gekämpft. In Zürich selbst scheint die Opposition ebenfalls zugenommen zu haben. Mein Eindruck war, dass Zwingli zunehmend unruhig wurde, und dass sich schliesslich im zweiten Kappelerkrieg die Kerngruppe der Reformierten kopflos mit der Vorhut, genauer mit dem ersten Grüppli des Hauptbanners, in den Krieg gestürzt hat, und zusammen mit Zwingli kamen viele um. Die Reformation Zwinglis war zuende. Es kamen andere Reformationen. Und es kam das konfessionelle Zeitalter.   Meine These ist, dass Zwingli, der sicher keine Glaubensspaltung wollte, sondern den neuen Zusammenschluss der Eidgenossenschaft, über die Spaltungen und die Formierung neuer und neu-alter Konfessionen bestürzt war und immer verzweifelter versuchte, die Öffnung doch noch in Gang zu bringen, was offensichtlich nicht gelungen ist. Daran ist Zwinglis Theologie gescheitert. Anstelle des offenen Feldes von Forschen, Erkennen, Diskutieren und Lehren traten engumgrenzte Konfessionen mit ihren Bekenntnissen. Ich vermute, dass die Bildung von Konfessionen, die sich zudem feindlich waren, für die Reformierten traumatisch wirken musste - was auch ein Erklärungsstrang für die spätere innere Enge der reformierten Theologie ist.      

2) Frühe Indizien der kommenden Parteien
1517 hat Martin Luther die Thesen an die Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen; 1518 fand die Disputation in Leipzig statt. Mutige Taten, die die Reformation ins Rollen brachten. Zwingli half eifrig mit, Lutherschriften zu verbreiten, nachdem er um 1519 herum auf Luther aufmerksam geworden war. Es scheint, dass er die Schriften nicht immer genau gelesen hat, wenn überhaupt. Luther war nicht seine theologisch Referenz. Nicht nur übersah er deswegen die Differenzen, er merkte erst später, wie Luthers Rhetorik ihm fremd war; er beschrieb es spöttisch als: "Es wird auch hier Gottes Wort die Oberhand gewinnen, nicht deine Schelt-, Schmütz- und Schäntzelwort wie „Schwärmer, Teufel, Schalk, Ketzer, Mörder, Aufrührer, Heuchler, trotz, botz, plotz, Blitz, Donner, po, pu, pa, plump“!" Ich habe einige Zitate aus Luther und Zwingli zusammengesetzt und daraus eine Art Dialog geschustert (die ich Johann Stumpfs  Beschreibung des Abendmahlsstreites (1538) verdanke), der die Differenz, meine ich, deutlich zeigt:   "Luther: Ich will bleiben ewiglich in dieser Christenheit, und wo sie ist, ist Vergebung der Sünden. Denn daselbst ist das Evangelium, die Taufe, das Sakrament des Altars; darin wird Vergebung der Sünde angeboten, geholt und empfangen. Ausserhalb solcher Christenheit ist kein Heil, sondern ewiger Tod und Verdammnis. Obgleich grosser Schein der Herrlichkeit da ist und viele gute Werke, so ist doch alles verloren. Bilder, Glocken, Messgewänder, Kirchenschmuck, Altäre, Lichter und dergleichen lasse ich der Freiheit. Wer da will, mags lassen, wiewohl ich die Bilder nach der Schrift und nach guten Historien sehr nützlich halte.   Zwingli: Aus welcher Schrift, Luther? Aus der Heiligen Schrift? Dann sagst du ja Gott und allen seinen Dienern im Himmel und auf der Erde etwas nach, das nicht stimmt! Sie wissen ja sicher, dass wir nur von den heilig verehrten Bildern reden, nicht von den anderen, die zur Freude und Lust der Menschen gemacht sind. Oder findst dus in heidnischen Historien? Du hast nicht sehr viel davon gelesen, das ist mir stets leid gewesen. Du kannst dich wenig aus diesen Schriften rühmen. Oder findsts dus in christlichen Historien? Also in jenen Historien, wo die gelehrten Fantasten Falsches und Erdichtetes zu einem Hafenkäs verschweisst haben! Dann sei Gott dir, Luther, gnädig! Hast du kein anderes Urteil beim Lesen und kannst nicht sehen, was aus dem tollen Kopf des „christlichen“ Fantasten komme, was aus einem verständigen Gemüt? Ich will es frei heraus sagen: Wo haben wir einen Historienschreiber – seit der Zeit der Apostel!, den wir vorziehen dürften auch nur einem der weisen Heiden?".   Ich schliesse noch einen Dialog an, der in Hinsicht des Umgangs aufschlussreich ist: Luther: Ich bitte Sie, alle frommen Herzen: Sie sollen mir Zeugen sein und für mich bitten, dass ich in meinem Glauben fest möge bestehen bis an mein Ende. Wenn ich aus Anfechtung oder Todesnöten etwas anderes sagen könnte, so will ich hier öffentlich bekannt haben, dass es unrecht und vom Teufel eingegeben sei.   Zwingli: Ich will Ihnen zeigen, dass diese Worte Luthers offensichtliche Verzweiflung sind. Zuerst verzweifelt er an der Sache. Könnte er seine Meinung mit der Schrift belegen, dann würde er auf diese pochen und die Sache nicht allein auf sich selbst nehmen. Danach ist es auch ein Verzweifeln an sich selbst. Warum erkühnt sich Luther, er werde nie gelehrter und besser unterrichtet sein? Vertraut er Gott nicht, dass der ihn weiter erleuchten werde? Dann wäre er ja an Gott verzweifelt! Oder denkt Luther, es gebe nichts, das er jetzt nicht zum Vollkommensten wüsste? Das ist Vermessenheit und deshalb ebenso Verzweiflung.   Zwinglis Wendung im letzten Abschnitt zeigt schon viel mehr Tiefensicht, vielleicht Verständnis, als Polemik, und er legt den Finger auf die wunde Stelle in Luthers Auftreten, das sich in Wiederholungen ergeht, indem Luther sich wieder an den Punkt bringt, wo er sagen muss: hier steh ich und kann nicht anders. Er klammert sich an die kirchlich vermittelte Sündenvergebung. Ich denke, dass darin das Problem des Glaubens liegt, wie er sich in den protestantischen Kirchen durchgesetzt hat. Glaube bezeichnet die Haltung einer Person, über die nicht gesprochen werden kann und die jedes kritische Gespräch scheitern lässt. Die Bibel wird zum Schutzwall gegen Einwände und zuerst gegen die eigenen Zweifel, d.h. Die Bibel ist positiv das notwendige Wissen und muss unfehlbar sein. Damit sind die fruchtlosen Streitgespräche - und die Kriege - zwischen den Konfessionen vorprogrammiert. Bei Zwingli gleicht sie eher der Verfassung eines Rechtsstaates, die das Vertrauen in die Institution durch Ausschluss der Willkür festigen und daneben das Leben möglichst frei lassen soll. Was nicht verboten ist, bleibt frei. Der Zweifel, ein typisch lutherischer Begriff, bezeichnet etwas völlig anderes, als der innere Konflikt, von dem Zwingli geschrieben hat, der konstitutiv zum Menschen gehört und der keinen der beiden Konfliktpartner, Geist und Körper, entwertet, sondern jeden in seiner Funktion beibehält. Zwinglis Glaubensbegriff ist nicht Glauben sondern Vertrauen, oder Gottvertrauen. Dementsprechend hat er kein Bekenntnis geschrieben, nur versucht, anhand der traditionellen Bekenntnisse zu zeigen, dass er nicht von ihnen abweiche, dass es vielmehr besser sei, sie so zu verstehen wie er. Er wollte Klarheit, nicht Bekennen. Er argumentierte, und seine Gegenspieler aus der Gesandtschaft des Bischofs, der Generalvikar Faber, auch ein Humanist, wandte ein, dass theologische Fragen nicht durch die Überlegenheit eines einzelnen Mannes, er meinte Zwingli, gelöst werden sollten.   Ich habe Luther herbeigezogen, weil der bekennende Ton Luthers andere Fronten schuf, als Zwingli gewünscht hätte. Luther hat den Papst direkt angegriffen und trieb die Kirche zur Reaktion und stellte viele vor eine Entscheidung, die sie nicht gewollt hätten. Luther hätte den Papst besiegen müssen, um die Kirche zu reformieren. Luther hat Rom widerstanden, aber er hat Rom nicht besiegt. Dadurch konnte es nur zur Spaltung und zu langanhaltender Feindschaft kommen. Die Gruppe der humanistischen Reformpartei wurde zur Entscheidung getrieben und dadurch zerrissen. Die wesentlichen Disputationen fanden zwischen Humanisten statt, von denen die einen der alten Kirche treu blieben, sich sogar dafür engagierten, die anderen zur Reformation überwechselten. Das bekannteste Beispiel für einen Humanisten, der bei der alten Kirche blieb, ist Erasmus von Rotterdam, Zwinglis theologische Referenz. Zwingli reihte sich in die Mitstreiter Luthers ein, weil es seinem Willen zur konsequenten Veränderung entsprach. Aber er sah die theologischen Differenzen erst später. Luther, als er Zwingli nicht mehr ignorieren konnte, wurde extrem aggressiv und feindlich: Weil ich sehe, dass des Rottens und Irrens je länger je mehr wird und das Toben und Wüten des Satans kein Ende nimmt, so will ich vor Gott und aller Welt meinen Glauben bekennen, wie ich zu bleiben gedenke bis in den Tod. Ich bekenne für mich, dass ich dich, Zwingel, für einen Unchristen halte mit all seiner Lehre, denn er hält und lehret kein Stück des christlichen Glaubens recht und ist ärger worden sieben mal, als wo er ein Papist war." Auf solche Anwürfe ruhig zu antworten, wird eher schwierig; und vielleicht verstehen Sie auch, dass ich etwas verstimmt reagierte, als ein lutherischer Theologieprofessor behauptete, Zwingli hätte dasselbe gewollt wie Luther. Luther selbst war da anderer Meinung. Ich denke, dass Luther die Struktur der päpstlichen Kirche nicht nur bestehen liess, sondern selbst in ihren Strukturen dachte und auf Zwingli wie ein Vertreter kirchlicher Hierarchie reagierte. In Zürich waren die Voraussetzungen 1522 für grundsätzliche Veränderungen gegeben. Darum wurden die nötigen Beschlüsse im Grossen Rat gefasst. Bischof und Papst wurden weggeschoben, eigentlich ohne Polemik. Man stellte einfach fest, dass ihre Kompetenzen "in der Schrift keinen Grund haben". Zürich beanspruchte seine Souveränität.   Ich denke aber, dass es ein Dilemma war, wie so oft, in das Zwingli geriet. Versucht man behutsam vorzugehen und zu warten, bis das Verständnis wächst, kommt man nicht vom Fleck und das Grundsätzliche kommt nie zur Sprache, denn Krietik macht Angst, weil sie Zweifel weckt; geht man vorwärts, sind Parteiungen die Folge, und im Bereich der Religion entstehen die Konfessionen oder Sekten. Damit ist aber das offene Feld, als das bei Zwingli die Freiheit des Predigens und Redens erscheint, bereits zu einem engen Weg des Streitens geworden. Die Tore sind zu, auch an Weihnachten, wo man etwas anderes singt, hinter geschlossenen Türen, und es bleiben nur noch Stellungskriege, Belagerungen, nutzlose Schlachten.  

3) Kappelerkriege Teil 2
Der Krieg begann früh. Das Verbot des Reislaufens und der Pensionen von ausländischen Mächten in Zürich brachte die Innerschweizer gegen Zwingli auf, und sie wollten die Entwicklung in Zürich gewaltsam stoppen. So lebte Zürich während Jahren unter Kriegsdrohung. Zwingli wurde in effigie verbrannt. Im Bild natürlich, wie sonst. Reformierte, die den Gerichten in der Innerschweiz in die Hände fielen, wurden sehr rasch hingerichtet. Es scheint mir seltsam und von Bedeutung, dass die Gerichtsurteile in Zürich sehr viel milder ausfielen als es nach meiner Kenntnis andernorts üblich war. Jedenfalls gab es keine Ketzerurteile, d.h. keine gerichtlichen
Lehrverurteilungen, und keine Hexenverbrennungen. Die Täufer, das habe ich schon erwähnt, wurden nicht des Glaubens wegen, sondern wegen staatsfeindlichen Umtrieben gefangen genommen und einige hingerichtet. Das ist natürlich auch ein zweifelhaftes Urteil. Es muss eingerechnet werden, dass ohne zeitlichen Abstand, der einem immer hilft, alles besser zu wissen, kaum alles richtig geschah. Zugleich müssen wir daran denken, dass unter Kriegsdrohung von aussen noch grosse Zurückhaltung im Innern herrschte.   Man darf die innerstädtische politische Opposition nicht unterschätzen. Die Konstabler, der alte Adel, waren immer gegen Zwingli eingestellt. Unter den Zünftern wird es auch verschiedene Gegner Zwinglis gegeben haben. Jedenfalls fürchteten seine Freunde Anschläge auf sein Leben, vor allem nachdem eines Nachts Steine gegen sein Wohnhaus geworfen worden waren, und man liess ihn nachts nicht mehr allein nach hause gehen. Im ersten Kappelerkrieg trat die Stadt geschlossen auf, die Verhandlungen zeigten dann aber, dass Zwinglis Anliegen dann doch dem Frieden geopfert wurden. Wie der zweite Kappelerkrieg zustande kam, ist unklar. Von Anfang an zögerte der Rat, man glaubte nicht an die Kriegsvorbereitungen der Innerschweizer, man rüstete sich nicht, und schliesslich war die Wahl des Hauptmanns der Vorhut offenbar zweifelhaft. Es geschah auch das Erwähnte: Die meisten getreuen Parteigänger Zwinglis und er selbst eilten zur Vorhut nach Kappel und gerieten in das Gefecht, noch bevor die Zürcher Hauptmacht in der Nähe war, und die meisten der Träger der Reformation kamen mit Zwingli um. Man kann den Eindruck fast nicht abwehren, dass sie kopflos in den Tod gerannt sind. Ich frage mich, ob sie nicht untergründig eine Hoffnungslosigkeit ergriffen hatte, und dann wäre auch Zwinglis Auftritt vor dem Rat, wo er unter Tränen seinen Rücktritt anbot, verständlich. Es ist, als ob er gespürt hätte, dass seine Vorstellungen sich nicht verwirklichen liessen.  

4) Nachspiele  (siehe nächste Seite)