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In dieser einfachen Homepage finden Sie Texte

zur bewegten Zeit der Zürcher Reformation,
konzentriert auf die Person Huldrych Zwinglis,

sein Denken, seine Vorstellungen,
seine Erfolge und Misserfolge...

Die Essais auf Seite 2 (mit Unterseiten) sind die Entwürfe der detaillierten Darstellung, die im Laufe der Zeit überarbeitet werden.

Hier auf dieser Seite die kurze Fassung der leicht überarbeitete Text der Rede, die 1999 gehalten wurde, als im Zusammenhang mit der Aktion Transit 99 das Denkmal Zwinglis auf Reise durch die Stadt Zürich ging.

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Vorstück
Rede beim leeren Denkmalsockel, Zürich-Transit 1999

Huldrych Zwingli - die Reformation vor Puritanismus und Orthodoxie

 
  1. Was ist ein Denkmal?
Der Pfarrer, der mir Hebräisch beibrachte, behauptete, das Motiv für die Errichtung von Grabsteinen sei ursprünglich, den Toten einen Stein auf den Kopf zu pflanzen, damit sie nicht mehr aus dem Grab entweichen könnten. Das Denkmal als Grabstein hält demzufolge die Geehrten unter Verschluss.
Darum haben Denkmäler einen festen Standort. Es ist ihnen fremd, keinen Ort zu haben. Im Gegensatz zu den Denkmälern ist die Utopie der Nicht-Ort.
 
Zwingli hat auf dem Sockel keine Utopie mehr, er hat einen festen Ort. Solche Ueberlegungen machte sich Zwingli auch, nämlich: Heiligenfiguren und Kruzifixe machen den Ort des Heiligen und den Anblick des Heiligen fest, verankern beides in der Vergangenheit. Die Transzendenz der Heiligenbilder wie der Denkmäler ist die Vergöttlichung der Vergangenheit. Ihr Gott ist nicht der Gott, der kommt.
Utopien dagegen drängen aus der Zukunft in die Gegenwart. Sie kehren den Zeitlauf um, wenn die Denkmäler weg sind. Zwingli selbst meinte, das Letzte wirke zurück in die Gegenwart. Gott ist der Name dieses Letzten. Es kann auch Liebe genannt werden - beides auch Utopie, beides ohne Ort in der Welt, aber wirksam.  Soviel zur Entfernung der Bilder aus den Kirchen in der Reformation.
  
Gewöhnlich findet man heute, es bringe mehr, Romane zu lesen als Messen. Schon einmal war es in Zürich so: Die Bildungselite las Homer (zwei Romane), Plato, Aristoteles, Cicero, Seneca und anderes mehr. Der Vordenker dieser Zeit in Zürich war Zwingli. Zeit des offenen Geistes, des Interesses für alles, was gedruckt war. Noch nach Zwinglis Tod haben seine Mitarbeiter als Erste Schriften aus der jüdischen Kabbala und den Koran auf Latein übersetzt und veröffentlicht. Wohl mit den üblichen Ausdrücken des Befremdens, aber nicht in blosser Polemik.
 
Das christliche Bekenntnis war für Zwingli keine Voraussetzung - man sah ja, wie wenig es vielen bedeute, war sein Argument - sondern ein Mittel, das zur Verständigung helfen sollte. Lieber wünschte er sich seine geliebten Heiden im Himmel. Er wird sich wohl spannende Gespräche gewünscht haben.  
Es ging noch weiter: "Denn in der ee das eelich werck verbringen", schrieb Zwingli, "ist nit sünd (doch rechter mass; denn (auch) brot essen mag man missbruchen, dass es sünd ist); darab sich die Bäpstler ser werdend rümpffen, die den armen conscientzen (Gewissen) der eelichen werk halb seltzame verschloss, band und gefegknussen habend angeschlagen (nämlich durch die Lehre von der Erbsünde und davon abgeleiteten Vorschriften). Aber gottes wort ist stercker denn ire tröum." (II, 265)  
Finden Sie das vielleicht frivol? Schon im vorletzten Jahrhundert nannte einer Zwinglis Argumentationen frivol. Etwas überraschend für einen sogenannten Puritaner.  Zwingli argumentierte: Gott verbietet nicht, was er selbst geschaffen hat. Woher hatte er das? Zwei Quellen sind möglich: Seine eigene Lebenslust, gestützt durch die Kenntnis der Kultur der italienischen Renaissance, und seine Unterredungen mit einem gelehrten Juden aus Winterthur. Gut möglich, dass es beides war; es ist beides bekannt, aber unerforscht, so weit ich weiss.

Gott schafft, meinte Zwingli, nicht die Fähigkeiten zu Kunst, Dichtung und Theater, damit wir diese alle abschaffen. Kunst, schrieb Zwingli, ist eine Gabe Gottes. Sie ist nur nicht dazu da, Götzen zu schaffen, die anstelle Gottes wie Gott verehrt werden. Künste gehören zu dem, was im Leben Lust, also Sinn macht und darum zum Leben gehört, wie die "eelichen werck" auch.   Darunter setzte Zwingli noch: Gottes Wort ist stärker, es befreit Sexualität und Sinnlichkeit aus den Vorschriften der Kirche, löst die Künste aus kirchlicher Bindung und Bevormundung.
 
Der theologische Konflikt entzündete sich daran, dass Zwingli dem Brot Brot sagte und dem Wein Wein statt Leib und Blut. Die Aufregung, die er auslöste, ist kein Wunder. Denn diese einfache Änderung brachte die Hierarchie in Gefahr und drehte das Weltbild aus der Senkrechten in die Horizontale, von Himmelsblick und Höllenangst der Gotik zum Vertrauen in die eigene sinnliche Wahrnehmung der Renaissance - wohl verstanden: Zwingli tat das als Theologe und Pfarrer, nicht als Philosoph. Sein Selbstvertrauen war allerdings so gross, dass er sich zutraute, wie er einmal schrieb, es mit allen Philosophen aufzunehmen.  

Es gibt Gründe genug, den Toten nicht tot sein zu lassen, sondern sein "Projekt Zürich" weiterzuverfolgen und weiterzudenken.  


2. Kennen Sie Manjusri?
Das ist eine buddhistische Gottheit, ein transzendenter Boddhisattva, der das Unwissen vertreibt und das Wissen verbreitet. Wissen, das die Erlösung der ganzen Person aus den Verstrickungen des Lebens und Leidens ermöglicht. Um seine Aufgabe zu erfüllen, hat Manjushri zwei Attribute. Das Unwissen vertreibt er mit einem Schwert, das Wissen verbreitet er mit einem Buch. Sie erinnern sich an das abwesende Denkmal: ein Schwert und ein Buch. Manchmal denken die Förderer von Denkmalen nicht so weit, wie die Symbole führen, die sie verwenden.  
Zürich steht in grosser Gefahr: das Denkmal ist los, der bronzene Gast streift durch die Stadt, das Zwingli-Scheusal geht um! Mit Schwert und Buch, das Unwissen zu vertreiben und das Wissen zu verbreiten. Wieder könnte der empfindliche Nerv der Zeit getroffen werden, wenn auch Zwinglis politische Spitze heute natürlich nicht mehr aktuell ist (oder wieder wird).

Sein Widerstand richtete sich gegen das schnelle Geld in Form von "Pensionen", das heisst Bestechungsgeldern ausländischer Herrscher. Zweck: Bereitstellung von Söldnerheeren.   Zwinglis Kampf gegen dieses schnelle Geld trieb die Innerschweizer zu erbitterter Feind-schaft. Der Keim zum Krieg, gelegt 15 Jahre vor den Kappeler Kriegen. Zwinglis Ziel und Mittel: das Evangelium lehren, Wissen verbreiten.
Wohl versorgt im Denkmal konnte das Scheusal niemanden mehr schrecken, auch die nicht, die sich mit seinem Namen schmückten, vielmehr konnten sie ihn zu Clichés schrumpfen lassen - und schon war der Puritaner geboren. Zwingli aber sass in seinem bronzenen Panzer und stellte sich weiter der Frage: Kann denn Liebe Sünde sein? Und wir stehen vor dem Sockel, erinnern uns an die buddhistische Leere und stellen erstaunt fest, dass die reformierten Kirchen sich durch ebensolche Leere auszeichneten, bis die Orthodoxie ihnen wenigstens wieder eine Lehre verschaffte, die erste Stufe zum Denkmal. Mit der Leere (ohne h) geht das nicht so glatt, schon gar nicht sauglatt, wenn man spürt, um was es geht.  

3. Kennen Sie das "Zwingli-Projekt"?
Sie haben schon Einiges davon gehört. Ich nenne es Projekt, denn Zwingli ist einerseits eine historische und politische Figur und als solche schon vielfach gewürdigt und verurteilt worden (nach so langer Zeit kann man es ja besser wissen). Das Projekt ist nur ansatzweise umgesetzt worden. Andererseits stehen wir vor dem Denkmal eines Opfers des sog. Puritanismus.

Zwinglis Zeit in Zürich waren gerade 12 Jahre. Ohne politisches Amt, ohne Bürgerrecht, hat er die Stadt verändert und doch nicht geprägt. Nach Zwinglis Tod konnte die Reformation nur um den Preis der Preisgabe seiner Theologie gerettet werden. Sein Geist, der viel umfassender war, ist zwischen Buchdeckeln verschwunden, Verbote blieben und mehrten sich in der Zeit der Reaktion und des Absolutismus ins Unermessliche.  
Ganz unschuldig war Zwingli an dieser Entwicklung nicht. Mit anhaltend starker Opposition in der Stadt konfrontiert; verraten, wie er es empfand, von seinen Freunden, die Täufer wurden und Anarchie predigten; unter jahrelanger Kriegsdrohung der Innerschweizer Orte, in Luzern schon 1525 in effigie als Ketzer verbrannt; den Angriffen Luthers und seiner Anhänger ausgesetzt, liess er sich verführen, seine Rechtgläubigkeit zu beteuern, um sein Projekt zu retten. Das hätte nur gelingen können, wenn andere die Freiheit des Gewissens anerkannt hätten wie er selbst.  
Es endete im Krieg; der Krieg bringt, neben Tod und Leid, auch die alten Geister zurück, die gebannt schienen - in Zürich gewannen die Sittengesetze einen Heiligenschein, der dem Heiligenschein der Kirchengesetze vor der Reformation nicht nachstand. Und das Denkmal goss den Heiligenschein dieser Gesetze, nicht Zwinglis, in Bronze fest.  
In zunehmender Bedrängnis hat Zwingli noch schöne Bücher geschrieben, aber immer hektischer agiert. Kopflos ist er (mit vielen seiner Anhänger) in den Tod gerannt, als ob es auf dem Schlachtfeld etwas Geistiges zu retten gäbe...   Selbstbewusst jedoch war Zwingli bis zuletzt. Er habe die glückliche Gabe, durch gedankliche Arbeit etwas zu erfinden und ganz neu zu durchdenken, "wie nie zuvor". An Kaiser Karl V. schreibt er 1530: "Gott, der viel gütiger ist als ihr alle - auch wenn wir Euch gerne die Besten nennen und auch dafür halten - mache, dass ...ihr die Kraft, die ihr bisher gegen die Reinheit des Evangeliums eingesetzt habt, gegen die verbrecherischen Versuche der gottlosen Päpstler richtet, damit uns die Gerechtigkeit ... zurückgegeben wird. Es ist genug getobt worden, es sei denn, dass widerrechtliches Gebieten, Verdammen, ja Morden, Töten, Rauben, Ächten nicht grausam oder schrecklich ist." (4,131) Und schliesslich rät er seinen Lesern (wieder in der Übersetzung von 1995): "lerne kritisch lesen! Verlasse dich nicht unbesehen auf die Worte von Luther oder Zwingli, kaum dass du gehört hast, sie hätten etwas geschrieben. Das wäre nachlässig..." (4,9)  

Die Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden - reformierte Identität die Identität der Differenz.